Wie ich kein Fußballer wurde

An der Strafraumgrenze rollte mir das Leder vor die Füße. Kurz Schwung geholt und mein schwarzer Stollenschuh traf im richtigen Moment. Der Ball wurde lang und immer länger, bis er endlich unten rechts ins Netz einschlug. Wahrscheinlich kullerte er mehr. Einen richtigen Wumms hatte ich nie. Und schon gar nicht als Zehnjähriger.

Wie dem auch sei, mein erstes Tor – und das gleich in meiner allerersten Partie im gelb-blauen Dress einer Erlanger Werksmannschaft! Der zweite Treffer folgte bereits im dritten Spiel meiner noch jungen Laufbahn als Vereinsfußballer. Das ließ Großes erhoffen. Im Geiste sah ich mich schon für meinen Lieblingsklub auflaufen, bejubelt von tausenden Fans auf der Südtribüne.

Doch es blieb bei nur zwei Toren, selbst nach insgesamt vier langen Jahren Jugendfußball. Schnell stellte sich nämlich heraus, dass ich – wenn überhaupt – nur spärlich mit Talent gesegnet war. Mein Trainer stand für gewöhnlich vor der Frage, auf welcher Position ich wohl am wenigsten Schaden anrichten könne. Und so spielte ich als Manndecker. Oder ich saß auf der Bank, das war die sicherste Lösung.

Auch sonst ist mir im Leben längst nicht alles so gelungen, wie ich es mir gewünscht hätte. Manchmal habe ich jahrelang auf etwas hingearbeitet und trotzdem Schiffbruch erlitten. Nicht dass ich mit meinem Leben unzufrieden wäre, das Gegenteil ist der Fall. Aber Enttäuschungen gehören zum Menschsein dazu. Wenn die Dinge anders laufen als erhofft, verleihen mir Lebensperspektiven aus der Bibel und den anderen heiligen Schriften der Kirche Jesu Christi der Heiligen der Letzten Tage neue Zuversicht. Drei Gedanken, die veranschaulichen, was ich meine:

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Sinne öffnen

Wie leicht kommt es vor, dass ein Misserfolg meine Gedanken beherrscht und wie eine dunkle Wolke über mir hängt. Dann erinnert mich Gott daran, meine Sinne zu öffnen für das kleine Glück um mich herum. Dem Propheten Joseph Smith hat er offenbart: „Ja, alles, was zu seiner Zeit von der Erde kommt, ist […] gemacht, dass es sowohl das Auge erfreue als auch das Herz beglücke, ja, zur Nahrung und zur Kleidung, zum Schmecken und zum Riechen, zur Stärkung des Leibes und zur Belebung der Seele.“ (Lehre und Bündnisse 59:18-19)

Nicht nur wieder aufstehen, wenn ich stolpere, sondern ebenfalls tief einatmen, die malerische Landschaft vor der Stadt, das Vogelgezwitscher, die Süße des Apfels und den Blütenduft im Frühling auf mich wirken lassen – so lautet Gottes Einladung an mich. Tag für Tag staunen, leben, lieben, danken.

Geduld üben

Was tun, wenn ich nicht auf Anhieb schaffe, was ich mir vornehme? In der Lutherübersetzung der Bibel heißt es: „Ein Geduldiger ist besser als ein Starker und wer sich selbst beherrscht, besser als einer, der Städte einnimmt.“ (Sprichwörter 16:32) Manchmal bedarf es eines zweiten, dritten oder vierten Anlaufs, um ans Ziel zu gelangen. Und manches Unterfangen führt nie zum Erfolg. Selbst wenn ich nicht oder nicht gleich auf dem Siegertreppchen stehe, gehöre ich zu den Gewinnern im Leben, solange ich mich in Geduld übe und die Hoffnung nicht aufgebe.

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Ein Schiff bauen

Nein, Profifußballer bin ich nie geworden. Auch nicht Zirkusdirektor (ein weiterer Berufswunsch aus Kindheitstagen). Stattdessen verdiene ich heute meine Brötchen mit Kommunikation in Wort und Schrift. Dass ich eines Tages Politikwissenschaft studieren, eine Weile ein Büro im National Press Building in Washington beziehen oder Interviews mit Medien bestreiten würde, darauf wäre ich als Kind nie gekommen.

Das Buch Mormon berichtet von einem jungen Mann, der von Gott den Auftrag erhält, ein Schiff zu bauen. Seine Brüder verspotten ihn, weil er sich an eine Sache macht, die ihm neu und unbekannt ist. Doch er lässt sich nicht beirren. Wenn er nicht weiterweiß (und das kommt oft vor), steigt er auf einen Berg, sucht die Stille und betet. Der Herr zeigt ihm daraufhin Großes. (1 Nephi 18:3). Mein Erretter Jesus Christus führt mich zu neuen Ufern. Er steht mir bei Vorhaben bei, die ich mir alleine nie zugetraut hätte. Wenn sich eine Tür schließt, öffnet er mir eine andere.

Über dem Schreibtisch meines Büros hängt heute ein Wimpel mit dem Wappen des Vereins, für den ich als Kind die Fußballschuhe schnürte. Die Jahre im gelb-blauen Trikot möchte ich nicht missen. Mein Dasein besteht darin, Erfahrung an Erfahrung zu reihen. Mal werde ich enttäuscht, mal gibt es Anlass zu feiern. Alles, was ich erlebe, gewinnt an Wert mit Jesus Christus an meiner Seite. Er trägt die Kapitänsbinde im Spiel meines Lebens.

Ralf Grünke

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