Wie sieht Gott aus?

„Zeig uns den Vater!“, bat der Apostel Philippus Jesus vor seinem Abschied, „das genügt uns.“ Auf diesen allzu pragmatischen Vorschlag erwiderte Jesus: „So lange Zeit schon bin ich mit euch zusammen, und du hast mich noch nicht erkannt, Philippus? Wer mich gesehen hat, der hat den Vater gesehen“ (Joh 14:8, 9). 

Philippus ging es um das äußere Erscheinungsbild des himmlischen Vaters, Jesus hingegen hatte wahrscheinlich mehr als das im Sinn, nämlich das wahre Wesen des lebendigen Gottes, von dem er unermüdlich Zeugnis ablegte. Das Äußere einer Person vermag ja nicht die ganze Wahrheit über jemanden auszusagen, insbesondere wenn der Betrachter in seiner Sichtweise irgendwie eingeschränkt oder durch Vorurteile getrübt ist. Andererseits bestätigt Jesus in seiner Antwort auch, dass er und der Vater einander äußerlich gleichen! Können wir das wörtlich nehmen? 

Im Buch Genesis lesen wir, dass der Mensch „als sein Abbild, als Abbild Gottes“ erschaffen worden ist (Gen. 1: 27; vgl. auch Mose 6:57). Die Übereinstimmung zwischen Gott und Mensch betraf und betrifft also grundsätzlich die äußere Erscheinung, sodass wir den Himmlischen Vater als ein Wesen von menschlicher Gestalt und menschlichem Aussehen betrachten können. Er hat im Garten Eden mit Adam und Eva gesprochen und sich seither vielen seiner Propheten offenbart, die mit ihm oft auf sehr menschliche Weise reden konnten, wie etwa Abraham und Mose, die Freunde Gottes geworden waren. Ihre Begegnungen und Erlebnisse mit Gott zeigen, dass unser Himmlischer Vater sich dem Menschen durchaus offenbaren möchte, damit wir wissen, wen oder was wir anbeten sollen. Er verbirgt sich also nicht vor uns und möchte kein „Geheimnis“ aus seinem Aussehen oder Wesen machen, sondern wünscht sich offenbar von Herzen, von uns und allen seinen Kindern erkannt zu werden. So fordert er uns in den Heiligen Schriften wiederholt auf, „ihn zu erkennen auf all deinen Wegen, dann ebnet er selbst deine Pfade“ (Spr. 3:7). Auch Jesus lehrt: „Bittet, dann wird euch gegeben; sucht, dann werdet ihr finden; klopft an, dann wird euch geöffnet.“ (Mt. 7:7) „Das ist das ewige Leben: dich, den einzigen wahren Gott, zu erkennen und Jesus Christus, den du gesandt hast.“ (Joh. 17:3) 

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Dass Gott Vater und Jesus Christus zwei physisch getrennte Wesen von menschlicher Gestalt und fast identischem Aussehen sind, bestätigt auch der Prophet Joseph Smith nach seiner Ersten Vision im April 1820. Er war in der Nähe seines Elternhauses in Palmyra, Bundesstaat New York, in ein kleines Wäldchen gegangen, hatte sich auf den Boden niedergekniet und ein Gebet gesprochen, in dem er Gott fragte, welcher Kirche er sich anschließen sollte. Das Erscheinen Gottes, die diesem Gebet eines Vierzehnjährigen folgte, beschreibt er in seiner Lebensgeschichte folgend: „ich (sah) gerade über meinem Haupt, heller als das Licht der Sonne, eine Säule aus Licht, die allmählich herabkam, bis sie auf mich fiel. Als das Licht auf mir ruhte, sah ich zwei Personen von unbeschreiblicher Helle und Herrlichkeit über mir in der Luft stehen. Eine von ihnen redete mich an, nannte mich beim Namen und sagte, dabei auf die andere deutend: Dies ist mein geliebter Sohn. Ihn höre!“ (Joseph Smith, Lebensgeschichte 1:16, 17) 

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Auch später lernte Joseph Smith in Visionen und anderen Offenbarungen mehr über die Natur und das Aussehen Gottes: „Wenn der Schleier heute zerrisse und der große Gott, der diese Welt in ihrer Bahn hält und alle Welten und Dinge durch seine Macht erhält, sich dem Auge sichtbar machen würde – ich behaupte, wenn ihr ihn heute sehen würdet, so würdet ihr ihn in menschlicher Gestalt erblicken: in Person und Erscheinung und auch in der Gestalt einem Menschen ähnlich, so wie ihr“. (Lehren des Propheten Joseph Smith, https://www.churchofjesuschrist.org/manual/teachings-of-presidents-of-the-church-joseph-smith/chapter-2-god-the-eternal-father?lang=deu)

Für die äußere Erscheinung Gottes als zwei einander nahestehenden Personen gibt es auch Belegstellen in der Bibel. Der erste Märtyrer Stephanus sah vor seinem Tod in einer Vision Gott Vater und Jesus Christus nebeneinander in Herrlichkeit auf ihren Thronen sitzen (Apg 7:55,56, vgl. auch LuB 76:19-23). Wie er es vorhergesagt hatte, hatte Jesus nach seiner Auferstehung und Rückkehr in den Himmel von seinem Vater eine Krone der Macht und Herrlichkeit empfangen und zu seiner rechten Hand Platz genommen. 

Die Gottheit

Bei anderen Gelegenheiten, als sich Gott für menschliche Augen sehen ließ, wird deutlich, dass die christliche Gottheit aus drei zusammengehörigen, jedoch eigenständig agierenden Personen besteht, nämlich Vater, Sohn und Heiliger Geist. Ein anschauliches Beispiel dafür ist die Taufe Jesu, bei der sie zugleich anwesend waren: Jesus stieg aus dem Wasser hervor, der Vater verkündete durch seine Stimme vom Himmel: „Dies ist  mein geliebter Sohn, an dem ich Gefallen gefunden habe!“ und der Heilige Geist erschien über dem Haupt Jesu in Gestalt einer weißen Taube. (Mt 3:16, 17)

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Dieses Zeugnis des Vaters für seinen Sohn wiederholt sich am Berg der Verklärung, als die Jünger ihren Meister plötzlich als strahlende Erscheinung sehen: „sein Gesicht leuchtete wie die Sonne und seine Kleider wurden blendend weiß wie das Licht“. Und neben Jesus erschienen noch zwei weitere himmlische Gestalten, nämlich Mose und Elija. Über ihnen allen aber erscholl vom Himmel her die Stimme des Himmlischen Vaters, der sagte: „Dies ist mein geliebter Sohn, an dem ich Gefallen gefunden habe. Ihn sollt ihr hören!“ (Mt 17:2-5) Auch hier wird deutlich, dass der Sohn und der Vater zwei voneinander getrennten göttlichen Personen sind, und zwei weiteren Personen, nämlich Mose und Elija, waren ebenfalls als Engel zugegen. 

Dies hat deshalb Bedeutung, da es in der Christenheit einige Verwirrung über das Aussehen Gottes gibt, etwa die Vorstellung einer „Dreifaltigkeit“, worunter seit dem Konzil von Nicäa (4. Jahrhundert) die unauflösbare Wesenseinheit von Gott Vater, Sohn und Heiliger Geist angenommen wird. Zur Veranschaulichung dieser Lehre beruft man sich auf Gottes Erscheinen bei den Eichen von Mamre. Abraham, der durch seinen Glauben und seine Treue eine große Nähe zu Gott aufgebaut hatte und ihn von vielen Kundgebungen her kannte, bekam eines Tages Besuch von seinem Herrn (in der Bibel wörtlich: Jehova). In Genesis 18:2 heißt es: „Er erhob seine Augen und schaute auf, siehe, da standen drei Männer vor ihm.“ Und Abraham sprach sie an und sagte: „Mein Herr, wenn ich Gnade in deinen Augen gefunden habe, geh doch nicht an deinem Knecht vorüber!“ So lud er sie ein, bei ihm auszuruhen, und alle drei aßen und tranken mit ihm im Schatten vor seinem Zelt. Später sandte der Herr seine beiden Begleiter weiter nach Sodom, während Abraham mit ihm (auf sehr menschliche Weise) über die Rettung der Stadt verhandelte. Sofern diese Begebenheit als Gleichnis für die physische Erscheinung Gottes Bedeutung hat, so liefert gerade sie Anhaltspunkte dafür, dass es sich beim Aussehen Gottes nicht um eine körperlichen Untrennbarkeit oder Verschmelzung dreier göttlicher Personen handeln kann, sondern im Gegenteil, dass es eher drei physisch voneinander getrennte Personen sind, die aber in völliger Übereinstimmung miteinander handeln. So wird in dieser Schriftstelle davon berichtet, dass die beiden Engel auch bei Lot im Haus übernachteten. 

Elohim und Jehova

Gott, der ewige Vater, der im Schöpfungsbericht Elohim genannt wird, ist nach den Evangelien der buchstäbliche Vater Jesu Christi durch die Vermittlung des Heiligen Geistes, und die Mutter des sterblich geborenen Jesus war Maria, eine heilige und reine Jungfrau. Aus zahlreichen Schriftstellen geht jedoch auch hervor, dass Jesus bereits vor seinem irdischen Leben bei seinem Vater war und in seinem Auftrag die Erde und alles darauf erschaffen hatte. Er war als Christus (Messias) schon vor Grundlegung der Welt vorherordiniert (1 Petr 1:20; Eth 3:14). „Verherrliche mich mit der Herrlichkeit, die ich bei dir hatte, ehe die Welt war“, bittet Jesus seinen Vater in Johannes 17:5.

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Das Wirken Jesu Christi begann also schon lange vor seiner irdischen Geburt, und es gibt in der Bibel viele Hinweise darauf, mit wem es seine irdischen Zeitgenossen eigentlich zu tun hatten. Er war (und ist) kein Geringerer als der „Ich bin da“, Jehova, יהוה, jenem Namen, unter dem er sich Mose offenbarte (vgl. Jes 12:2; 43:11; 45:21; 1 Kor 10:1-4; Offb 1:8; 2 Ne 22:2). Er ist der Gott des Alten Testaments, der sein Volk aus Ägypten geführt hat, mit den Israeliten 40 Jahre lang als Feuersäule oder Rauchwolke durch die Wüste gezogen ist und von dem lange vorher prophezeit worden war, er werde sein Volk erretten und ihnen dereinst ein Messias und gerechter König sein. Dass Jesus Christus der Herr, der Gott des Alten Testaments, ist, bezeugt auch Johannes, wenn er ihn „das Licht der Welt“ nennt (Joh. 8:12), und Jesus selbst, der sagt: „Ehe Abraham war, BIN ICH (Joh 8:58). Er ist somit der Gott der Schöpfung, der Natur, und als er am Kreuz starb, litt die Natur, die Sonne verdunkelte sich, die Erde bebte: „Als der Hauptmann und die Männer, die mit ihm zusammen Jesus bewachten, das Erdbeben bemerkten und sahen, was geschah, erschraken sie sehr und sagten: Wahrhaftig, das war Gottes Sohn!“ (Mt. 24:54). Auch im Buch Mormon wird berichtet, dass viele angesichts der Erdbeben und schreckliche Zerstörungen zur Zeit seiner Kreuzigung ausriefen: „Der Gott der Natur leidet!“ (Vgl. 3 Ne 8)

Nachdem die Apostel und andere Jünger und Frauen, die ihnen nachfolgten, etwa drei Jahre mit ihm zusammen gewesen waren, und er gestorben und wieder auferstanden war, erschien er ihnen als auferstandenes Wesen noch 40 Tage lang. Sie erkannten ihn oft nicht sofort, wie Maria Magdalena und die Jünger, die er nach Emmaus begleitete, denn sein Aussehen hatte sich irgendwie verändert. Er besaß einen unsterblichen Körper, und doch, wie er erklärte, war er „kein Geist“, sondern sein Körper war aus Fleisch und Gebein, fühlbar wie der eines Menschen, der vor ihren Augen ein Stück gebratenen Fisch aß. (Lk 24: 36-43) Und Thomas durfte seine Hände in seine Nägelmale und seine Seite legen (Joh 20: 24-29). Dieses buchstäbliche „Begreifen“ des Herrn erlebten auch die Menschen im Buch Mormon, denen er sich nach seiner Auferstehung in ähnlicher Weise bereitwillig zu erkennen gab, damit sie „fühlen und sehen“ und wissen mögen, dass Jesus Christus wahrhaftig ihr Gott und ihr Erlöser ist. (3 Ne 11). 

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Ich kann bezeugen: Wir erkennen Gott in dem Maß, wie wir versuchen ihn zu lieben und seiner Stimme zu vertrauen. Wenn wir uns ihm zuwenden, dann wendet er sich uns zu, wenn wir ihn suchen und ihm vertrauen, lässt er sich von uns finden und führt er uns immer weiter ins Licht der Wahrheit. Ihn zu sehen, wie er ist, wird einst eine überwältigende Erfahrung sein und die Versuche, ihn mit irdischen Mitteln darzustellen oder zu beschreiben, bleiben in jedem Fall unzureichend.

Regina Schaunig

Der Blogbeitrag ist verfasst von Regina Schaunig. Sie lebt in Kärnten, hat Germanistik, Sprachwissenschaft, Philosophie und Kulturwissenschaft studiert und sich viele Jahre mit Textgenetik und Biografie befasst sowie Aufsätze und mehrere Bücher veröffentlicht. Sie ist Mitglied der Kirche Jesu Christi der Heiligen der Letzten Tage und liebt es, tief in die Heiligen Schriften einzutauchen. Auch ihre Bekehrung hat mit dem Wort Gottes zu tun. Sobald sie sich dazu entschloss, nach Gott zu suchen, nämlich herauszufinden, ob es ihn tatsächlich gibt, öffnete sich für sie etwas wie ein Vorhang zu immer mehr Licht und Erkenntnis. Ein Schlüsselerlebnis dazu war das Lesen im Neuen Testament, in dem sie eines Tages an eine Stelle gelangte, wo Jesus zu seinen Jüngern sagt: „Und ich spreche die Wahrheit, und ich lüge nicht!“ Diese Worte, bezeugt sie, „drangen mir mit solcher Intensität und Klarheit in die Seele, dass ich von diesem Tag an unzweifelhaft wusste und bis heute weiß: Jesus Christus sagt die Wahrheit und ich kann ihm vollkommen vertrauen!“ 

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